Aktuelles: Bericht
vorheriger Bericht zurück zur Liste nächster Bericht21. Februar 2025

Vom Film-Nerd zur Filmemacherin in LA
Seit 2022 lebt Michelle Künzler aus Bergdietikon in Los Angeles. Als Filmemacherin fasst sie nun langsam Fuss im kompetitiven Business.
Sie tauschte ihren mässig aufregenden Alltag in Bergdietikon gegen ein Leben in der Stadt der Träume. Dass die Filmbranche ihr Ding ist, hat Michelle Künzler schon früh gemerkt – sie studierte Filmwissenschaft an der Universität Zürich. Die 27-Jährige träumt in Los Angeles aber nicht etwa vom grossen Durchbruch als Schauspielerin. Vielmehr sorgt sie beim Dreh als Production Designer beziehungsweise Filmemacherin oder auch Szenenbildnerin für das passende Szenenbild.
Als Künzler vor zweieinhalb Jahren für einen Filmmaking- Workshop nach Los Angeles reiste, war nur ein zweimonatiger Aufenthalt geplant. «Der Workshop hat mir so gut gefallen, dass ich mir dachte: Ich will hier bleiben und noch mehr lernen», erzählt sie am Telefon. Kurz darauf, im Januar 2023, begann sie ihr knapp einjähriges Masterstudium an der New York Film Academy in Burbank, wo sie bis heute wohnt. Die Grossstadt liegt etwas ausserhalb von LA, rund zehn Autominuten von Hollywood entfernt.
Während des Masterstudiums erlernte Künzler die vier Kernelemente des Filmemachens: Drehbuchschreiben, Regieführen, Videoschnitt und Kameraführung. Nach dem Motto «hands on» drehte sie bereits während des Studiums mehrere Kurzfilme. Ihr jetziges Tätigkeitsfeld, das Production Design, brachte sie sich vorwiegend selbst bei.
Bei ihren ersten Aufträgen als Szenenbildnerin habe sie viel improvisieren müssen: «Ich war anfangs etwas unbeholfen und habe dann erst mit der Zeit ein Gefühl dafür bekommen», sagt sie. Seit nun über einem Jahr als freischaffende Filmemacherin ist Künzler mittlerweile etwas routiniert. Und was in LA noch viel wichtiger ist: Sie hat sich in der Branche ein Netzwerk aufgebaut. «Vieles läuft hier nicht über schriftliche Bewerbungen, sondern mündliche Empfehlungen», sagt sie. Nach wie vor sei es aber nicht einfach, in der Filmstadt Fuss zu fassen. Denn das Business sei sehr kompetitiv.
In der Schweiz fühlte sie sich immer als Nerd
Auch ihr privates Umfeld in LA besteht fast ausschliesslich aus Leuten, die wie sie in der Filmbranche tätig sind. «Das hilft beim Austausch von Ideen oder wenn ich Unterstützung benötige», sagt Künzler. Während sie sich in der Schweiz immer als Film-Nerd fühlte, könne sie mit den Leuten hier über die Themen sprechen, die sie interessieren. «Das ist es, was ich so schön finde an dieser Stadt – deshalb hatte ich immer den Drang, hierzubleiben.»Als Szenenbildnerin ist Künzler dafür verantwortlich, dass die Einrichtung des Sets zur Handlung und zu den Charakteren passt. Um ein Konzept erstellen zu können, analysiert sie im Vorfeld jeweils das Drehbuch und spricht sich mit den Regisseuren, den Kameraleuten und der Garderobiere ab. «Einerseits will ich die Vision der Verantwortlichen verwirklichen, andererseits gebe ich auch eigene Inputs», sagt sie. Die Umsetzung am Set ist teils sehr zeitaufwendig: «Ich habe schon ganze Wände tapeziert oder Möbel gebaut.»
Zu Beginn habe sie die Verantwortung als etwas überwältigend und einschüchternd empfunden. «Ich wusste, wenn ich keinen guten Job mache, lenkt das von der Story ab und man verliert als Zuschauer den Faden», sagt Künzler. Das Production Design sage vieles aus: Ein unordentliches Büro weise beispielsweise darauf hin, dass eine Person im Stress ist.
Neben verschiedenen Kurzfilmen hat sie auch schon das Szenenbild einer Onlinewerbung gestaltet. Aktuell arbeitet Künzler an einem Kurzfilm, der in den 1970er-Jahren spielt. «Dafür wandle ich ein Apartment in ein Hotelzimmer im damaligen Stil um», sagt sie.
Mit Ausnahme von Comedy, Horror und Fantasy hat sie sich bereits in allen Genres probiert. Ihre Favoriten sind bislang Science-Fiction, Thriller und Drama. «Ich mag es generell sehr, wenn das Production Design auffällig ist und ich meine Fantasie spielerisch einsetzen kann», sagt Künzler. So interessiert sie sich auch sehr für farblich ausgefallene Filme wie «Barbie». «Ein solches Set wäre ein Traum», sagt sie.
Zwölf-Stunden-Tage oder mehr seien normal
Mit dem Science-Fiction-Thriller «Sequoia» hat sie letztes Jahr auch bereits einen eigenen Kurzfilm herausgebracht. Mit einer weiblichen Hauptfigur, die im Film eine KI-generierte Person spielt, erkundet Künzler das Zusammenspiel von KI und Geschlechterrollen. Mit dem Kurzfilm war sie bereits Finalistin beim Las Vegas International Film & Screenwriting Festival 2024.Ihr Ziel ist es, bald auch andere Formate wie einen Spielfilm oder ein Musikvideo auszuprobieren. Gerade vor Spielfilmen habe sie jedoch auch Respekt wegen der langen Drehzeit. «In LA ist es normal, dass man zwölf Stunden oder länger arbeitet. Nach ein paar Drehtagen bin ich deshalb schon sehr erschöpft», sagt Künzler. Als Szenenbildnerin renne sie am Set ausserdem von einem Ort zum nächsten, damit für jede Szene alles parat ist. «An meiner Work-Life-Balance arbeite ich noch», gesteht sie.
Die kürzlichen Brände in LA habe sie sehr surreal erlebt. «Zwei Tage davor war ich noch an den Golden Globes und sass durch einen glücklichen Zufall am gleichen Tisch wie Miley Cyrus», sagt sie. Als das Feuer ausbrach, waren ihre Eltern gerade zu Besuch.
«Anfangs dachten wir noch, das Feuer sei genug weit weg, doch dann breitete es sich immer weiter aus und war auf einmal ganz nahe», erzählt Künzler. Fast eine Woche lang hätten sie aus Angst vor dem Feuer kaum geschlafen und abwechselnd die Nachrichten verfolgt. «Von meinem Fenster aus habe ich in den ersten Tagen schwarze Rauchwolken gesehen», sagt sie. Mittlerweile sei aber zum Glück wieder Normalität eingekehrt.
Limmattaler Zeitung vom 18. Februar 2025 (Muriel Daasch)
Bild (zVg): Michelle Künzler am Set des Drama-Kurzfilms «My Story in Hollywood» im Juni 2024. Für den Film musste sie am Manhattan Beach ein Obdachlosenzelt (im Hintergrund) aus Bettlaken und Abfallsäcken bauen.