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7. November 2022

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Am Grenzstein treffen sich Freunde

Das Dietiker Neujahrsblatt 2023 mit dem Titel «Zwei Ortschaften, eine Geschichte» befasst sich mit der besonderen Beziehung zwischen Dietikon und Bergdietikon.

1989 war für die Stadt Dietikon ein besonderes Jahr. Sie konnte ihr 900-Jahr-Jubiläum begehen. Von der Nachbargemeinde Bergdietikon erhielt sie aus diesem Anlass einen Grenzstein geschenkt, der an der platziert wurde. Seither findet dort jährlich ein Grenzsteintreffen der Behörden der beiden Gemeinden statt. Der Stein steht dabei weniger für das Trennende als für das Verbindende. Als Treffen unter Freunden wird die Zusammenkunft auch bezeichnet. Von dieser Freundschaft sowie der langen gemeinsamen Geschichte der beiden Gemeinden handelt das jüngste Dietiker Neujahrsblatt des Stadtvereins Dietikon, das neu auch als Jahrbuch bezeichnet wird und den Titel «Zwei Ortschaften, eine Geschichte» trägt.

Verschiedene Autoren beleuchten darin die Entwicklung der beiden Ortschaften, deren Gemeinsamkeiten und nicht zuletzt die Umstände, die dazu führten, dass Bergdietikon heute zum Kanton Aargau gehört und Dietikon zum Kanton Zürich. Dabei geht der Blick zurück bis ins frühe 15. Jahrhundert, genauer ins Jahr 1415, als die Eidgenossen den alten Aargau eroberten und damit auch das Gebiet, das fortan Grafschaft Baden genannt werden sollte. Es umfasste in etwa die heutigen Bezirke Zurzach, Baden, Bremgarten und auch Dietikon. (Geschichte)

Die Grafschaft Baden war eine gemeine Herrschaft der Eidgenossen und wurde von den acht alten Ständen gemeinsam verwaltet. Diese stellten im Turnus von je zwei Jahren abwechselnd einen Landvogt als Statthalter. Er residierte in Baden und verwaltete von dort aus die in elf sogenannte Ämter eingeteilte Region. Eines dieser Ämter war das Amt Dietikon, das die heutigen Gemeinden Dietikon, Bergdietikon, Spreitenbach, Schlieren, Urdorf, Rudolfstetten und Uitikon umfasste (umliegende Gemeinden). Gleichzeitig gehörten Dietikon und Bergdietikon auch seit 1259 zum Grundbesitz des Klosters Wettingen.

Knapp über 3000 Personen lebten um 1780 im Amt Dietikon

An diesen Verhältnissen änderte sich bis ins Jahr 1798 mit dem Einmarsch der französischen Revolutionstruppen ins Gebiet der heutigen Schweiz wenig. Der Wandel, der mit diesem Ereignis einherging, war dafür umso einschneidender.

Wie Sven Wahrenberger in seinem Beitrag nachzeichnet, zählte das Amt Dietikon um 1780 insgesamt 33 Siedlungsorte – also Dörfer, Weiler sowie alleinstehende Bauernhöfe – mit 328 Wohnhäusern. Von den gesamthaft 3068 Einwohnerinnen und Einwohnern des Amts lebten 686, also der Grossteil, im Dorf Dietikon. Die meisten von ihnen waren in der Landwirtschaft tätig. Viele gingen aber noch einem Nebenerwerb nach. So waren traditionelle Handwerksberufe wie Schmied, Müller oder Zimmermann relativ stark im Dorf vertreten.

Ein Vorteil des Dorfes Dietikon für den späteren Wirtschaftsaufschwung war dessen Lage an der Landstrasse zwischen Zürich und Baden sowie an der Verbindungsstrecke über den Mutschellen nach Bremgarten. Anders präsentierte sich die Situation in der späteren Berggemeinde, die nicht über ein eigentliches Dorfzentrum verfügte und auch nicht von Einnahmen durch den regionalen Verkehr profitieren konnte. Sie bestand um 1780 aus rund einem Dutzend Kleinsiedlungen sowie einzelnen Bauernhöfen und zählte 360 Einwohnerinnen und Einwohner, die sich auf 31 Wohnhäuser mit 47 Haushaltungen verteilten. Die grössten Weiler waren Kindhausen, Baltenschwil und Gwinden. Wie in Dietikon waren auch in Bergdietikon die meisten Einwohnerinnen und Einwohner in der Landwirtschaft tätig. Wobei der textilen Heimarbeit als Nebenerwerb eine wichtige Rolle zukam.

Alle wichtigen Kirchenfeste fanden in Dietikon statt

Doch nicht nur die Lebensumstände verbanden die Bevölkerung im Tal mit jener auf dem Berg, wie Mike Grendelmeier in seinem Beitrag darlegt. So waren damals weite Gebiete in der Region in Dietikon kirchgenössig. Das bedeutete, dass alle wichtigen Kirchenfeste, wie Taufe, Hochzeit und Begräbnis, in der Kirche in Dietikon abgehalten wurden – und dies weit über die Reformation hinaus.

Die Nähe der Höfe ob Dietikon zur Ortschaft im Tal zeigte sich auch darin, «dass der Berg lange, bis auf einzelne Fusswege, nur von und über Dietikon erreichbar war. Davon zeugen heute noch durchgehende Strassenbezeichnungen, wie etwa die , die oder die , deren Verlauf bereits auf der alten Klosterkarte von 1693 schon gut erkennbar ist», wie Grendelmeier schreibt. Die Verbindung nach Widen entstand erst viel später.

Mit dem Einmarsch der französischen Truppen brachen für die Bevölkerung im Limmattal schwierige und auch chaotische Zeiten an. Die Region wurde zum Kriegsgebiet. Franzosen und Russen standen sich an der Limmat gegenüber. Die fremden Truppen mussten von der heimischen Bevölkerung versorgt werden. Die alten Herrschaftsstrukturen in der Eidgenossenschaft wurden abgeschafft. An ihre Stelle trat mit der Helvetischen Republik ein zentralistischer Staat nach französischem Vorbild.

In dieser Zeit, 1798, wurde Bergdietikon als «Munizipalgemeinde Ob Dietikon» eigenständig, wie in der 2003 erschienenen Bergdietiker Ortschronik mit dem Titel «Grenzen überschreiten» nachzulesen ist (Online-Schalter). Damals gehörten Bergdietikon und Dietikon aber immerhin noch zum gleichen Kanton.

Bergdietikon und Dietikon wollten zum Kanton Zürich

Denn Dietikon und die Berggemeinde ob Dietikon wurden dem 1798 neu geschaffenen Kanton Baden zugeteilt. Dieser erwies sich allerdings unter anderem aufgrund seiner geringen Wirtschaftskraft als nicht überlebensfähig. Deshalb wurde bereits 1801 und 1802 eine Verschmelzung mit dem Kanton Aargau beschlossen, 1803 wurde sie umgesetzt. Dietikon und Bergdietikon wünschten sich eine Zugehörigkeit zum Kanton Zürich. Die beiden Orte wandten sich deshalb in einem Schreiben vom 25. September 1802 an den Zürcher Regierungsrat.

Darin wiesen sie unter anderem auf die bereits bestehenden engen Beziehungen zu Zürich hin. Zudem beklagten sie sich darüber, dass man von Baden keinerlei Hilfe erhalten habe, um die durch das Kriegsgeschehen erlittene Not zu lindern.

Angesichts der Unruhen und Aufstände sowie des drohenden Zusammenbruchs der Helvetischen Republik befahl Napoleon Bonaparte die verschiedenen Konfliktparteien zu einer Consulta nach Paris. Ihr Ziel war es, stabile politische Verhältnisse in der Helvetischen Republik herzustellen. Wobei sich Napoleon als Erster Konsul der französischen Republik für eine föderalistische Zukunft der Schweiz aussprach. Er wollte die Wiederherstellung der Kantonssouveränität, eine Rechtsgleichheit zwischen den Kantonen und das Ende der Privilegien für die Patrizier.

Eröffnet wurde die Consulta am 10. Dezember 1802. Rund 70 Vertreter der Kantone und Gemeinden arbeiteten in der Folge zusammen mit den französischen die Kantonsverfassungen und eine Bundesverfassung aus. Einer der Teilnehmer war Philipp Albert Stapfer von Brugg, der sich massgeblich an der Schaffung des neuen Kantons Aargau beteiligte. Die Interessen Zürichs vertrat Hans von Reinhard. Ihm gelang es, den Kanton Zürich um Dietikon, Schlieren, Oetwil und Hüttikon zu vergrössern.

Der Landammann war über das Vorgehen Zürichs nicht erfreut

Wie Arthur Huber in seinem Beitrag schreibt, hatte dies zur Folge, dass die Kreis-Einteilung für den Kanton Aargau geändert werden musste. Der Kreis 28 wurde aufgehoben und Dietikon, Schlieren, Oetwil sowie Hüttikon dem Kanton Zürich zugeteilt. Die restlichen Orte Spreitenbach, Kindhausen, Killwangen, Baltenschwil mit den Höfen, Würenlos und das Kloster Fahr wurden auf andere Kreise des neuen Kantons Aargau verteilt.

Allerdings machte sich der Kanton Zürich nach Abschluss der Consulta und dem Inkrafttreten der Mediationsakte – sie enthielt alle Verfassungen der Kantone wie auch die Bundesverfassung – daran, neben Dietikon auch die Berggemeinde ins Kantonsgebiet zu integrieren. Beim Kanton Aargau und auch beim von Napoleon ernannten Schweizer Landammann Louis d’Affry kam dies gar nicht gut an, wie er in einem Schreiben vom 30. März 1803 an die Regierung in Zürich zum Ausdruck brachte. Darin wies er darauf hin, dass in der Verfassung festgehalten sei, dass Baltenschwil mit den Höfen und Kindhausen «dem Canton Argau noch ferner einverleibt bleiben sollen».

Dies wiederum rief nun die Berggemeinde ob Dietikon auf den Plan. In einem Schreiben an d’Affry wollte sie diese Zuteilung doch noch abwenden: «Bis vor wenigen Tagen sind wir in der überzeugensten Beglaubigung gestanden, wann gedachte Mediationsakte, die Gemeinde Dietikon dem Canton Zürich zutheilt, dass auch unsere Berggemeinde Dietikon – welche stehts mit dieser in der genauesten Verbindung gestanden ist – ohnmöglich von Dietikon getrennt werden könne.» Im Weiteren wird auf die engen Beziehungen der beiden Gemeinden hingewiesen: «Dietikon und die Berggemeinde Dietikon waren vor der Revolution stets in genauster Verbindung. Wir hatten ein Gericht, einen Amman, einen Weibel, der beyden Gemeinden in Diensten gestanden ist.»

Die Antwort war unmissverständliche

Doch die Antwort des Landammanns war unmissverständlich: «Da der am 30. März darüber gefasste Entscheid sich auf die in Paris festgesetzte Eintheilung des Cantons Aargau gründe, so finde man sich nicht befugt, davon abzustehen.» Die Trennung von Dietikon und Bergdietikon und die Aufteilung auf zwei verschiedene Kantone war endgültig.

Die Gründe dafür sieht Arthur Huber in einem Kommunikationsfehler. Denn «keinem der entscheidenden Akteure in Paris war es bewusst oder bekannt, wie eng verbunden Dietikon und die Berggemeinde Dietikon waren und welche Auswirkungen diese Trennung haben würde». Eine Trennung, die bis heute andauert und gerade für Bergdietikon einige Herausforderungen mit sich brachte. Davon zeugt der Beitrag von Urs Spörri zur jüngeren Geschichte der Berggemeinde und den weiterhin bestehenden engen Beziehungen zur grossen Nachbarin im Tal.

Bis 1967 musste im Freien geturnt werden

Ab 1950 erlebte Bergdietikon einen Bauboom. Hier setzt Spörris Text ein. Er erzählt etwa von der wechselvollen Schulgeschichte, die exemplarisch für die spezielle Situation steht, in der sich eine kleine Gemeinde an einer Kantonsgrenze befindet. Eine Turnhalle existierte damals beispielsweise nicht. Geturnt wurde im Freien. Das änderte sich erst mit der Eröffnung des neuen Schulhauses mit Turnhalle im Jahr 1967. Es wurde neben der 1961 erbauten reformierten Kirche errichtet. Ausser der Bezirksschule konnten nun alle Schulstufen in Bergdietikon besucht werden. Im Jahr 2000 wurde die Oberstufe ganz nach Spreitenbach verlegt.

Bis zur Eröffnung der Bezirksschule in Spreitenbach 1976 mussten Schülerinnen und Schüler aus Bergdietikon lange Wege in Kauf nehmen, um eine höhere Aargauer Schule zu besuchen. «Nur wenige Jugendliche aus Bergdietikon besuchten die höheren Aargauer Schulen. Bis zur Eröffnung der Kantonsschule Baden (1961) war der Besuch in Aarau möglich, aber auch das Lehrerseminar in Wettingen. Für den Besuch der Bezirksschule boten sich Baden, Wettingen oder Bremgarten an. Beliebt aber war die Sekundarschule in Dietikon», schreibt Spörri. Voraussetzung dafür war allerdings, dass die Bergdietiker Schülerinnen und Schüler in Bergdietikon für den Übertritt das sechste Schuljahr absolviert haben mussten. Denn die Schulsysteme in den Kantonen Aargau und Zürich sind verschieden. Bis 2014 besuchte man im Aargau nach der 5. Primarschulklasse die Bezirks-, Sekundar- oder Realschule.

Was dies im Einzelfall bedeutete, davon berichten zwei Zeitzeuginnen. Brigitte Diggelmann-König besuchte ab 1971 die Bezirksschule in Wettingen, wo sie in die 3. Klasse einsteigen konnte. «Ich war die einzige Schülerin aus Bergdietikon und fühlte mich im damals schon eher städtischen Wettingen als ‹Landei›.» Oft sei sie vom Ortsteil Kindhausen zu Fuss zum Bahnhof Dietikon gegangen, und habe dort den Zug nach Wettingen genommen.

Erst spät kam die erste Busverbindung

Noch etwas weiter zurück reichen die Erinnerungen von Lotti Locher-Treyer, die 1953 die Prüfung für die Bezirksschule bestanden hatte und diese in Bremgarten hätte absolvieren können. «Meine Eltern fanden den Weg zu weit und auch wegen der Fahrkosten zu kostspielig, sodass sie sich für den Besuch der Sekundarschule Dietikon entschlossen», erinnert sie sich. Die Kosten für den Besuch der Sekundarschule in Dietikon mussten die Eltern übernehmen. Erleichtert wurde der Gang nach Dietikon ab 1970, als die erste Busverbindung ins Tal entstand. Schülerkurse nach Spreitenbach wurden erst in den 1980er-Jahren eingeführt.

Auch in anderen Bereichen, etwa bei den Kirchen, hat Bergdietikon in den vergangenen 70 Jahrzehnten verschiedene Entwicklungsphasen durchgemacht, wie Spörri aufzeigt. Heute zählt die Gemeinde knapp 3000 Einwohnerinnen und Einwohner. Sie gehört mit einem Steuerfuss von 84 Prozent zu den steuergünstigsten Aargauer Gemeinden.

Zur Nachbarin im Tal bestehen bis heute vielfältige Beziehungen auf unterschiedlichen Ebenen. Zudem ist das Zivilstandsamt Dietikon für Bergdietikon zuständig. «So bestehen Verträge mit der Stadt Dietikon über das Ableiten von Abwasser in die Kläranlage Limmattal, die Benützung der Kehrichtverbrennungsanlage und den Bezug von Wasser. Seit Jahrzehnten besteht auch eine gute und geschätzte Zusammenarbeit zwischen den beiden Feuerwehren Dietikon und Bergdietikon. Dietikon erwies sich immer als eine zuvorkommende und unkomplizierte Vertragspartnerin», schreibt Spörri.

Eine Partnerschaft beziehungsweise Freundschaft, die am Grenzsteintreffen jedes Jahr aufs Neue begangen wird.

Bild: Dieser Grenzstein an der Riedwiesstrasse in Bergdietikon wurde 1989 zum 900-jährigen Bestehen der Stadt Dietikon gesetzt. (zvg)

Limmattaler Zeitung vom 5. November 2022 (Sandro Zimmerli)

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