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16. Oktober 2024

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Sie schrieb ihr erstes Buch

Ein Traum geht in Erfüllung: Die Bergdietikerin Emily Benz veröffentlicht mit 83 Jahren ihr erstes Buch und deckt darin die Geschichte einer jungen Kapitänstochter im alten China auf.

Nichts wünschte sich Emily Benz als Kind sehnlicher, als ein Buch zu besitzen. Bei Freunden auf dem Kamin standen immer Bücher, aber bei ihr zu Hause fanden sich keine. Während des Zweiten Weltkriegs konnte sich ihre Familie nämlich keine Bücher leisten. Erst als Benz selbst Geld verdiente, konnte sie sich ihre ersten Bücher kaufen. Mittlerweile besitzt sie eine ganze Sammlung.

Vielleicht stöberte die Bergdietikerin gerade deswegen vor 18 Jahren auf Ebay nach Büchern. Normalerweise habe sie dort immer nur Postkarten oder kleine Dinge gekauft, erzählt Benz. An diesem einen Abend jedoch fiel ihr etwas Besonderes ins Auge. Jemand verkaufte eine Sammlung alter Tagebücher: Notizhefte eines englischen Kapitäns, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in China unterwegs war. Emily Benz’ Aufmerksamkeit war geweckt.

Es war eine schicksalhafte Begegnung

Aufgewachsen in Cleveland in den USA, entwickelte Benz schon als Kind eine Faszination für das Land und die Kultur Chinas. Durch Filme des chinesisch-hawaiischen Detektivs Charlie Chan oder die Erzählungen ihrer Verwandten, die ins ferne Land gereist waren, entstand eine Begeisterung, die bis heute anhält. Es sei fast ein schicksalhafter Zufall gewesen, dass gerade sie diese Tagebücher in die Hände bekam, sagt sie.

Ihre Faszination für andere Kulturen verleitete sie schon mit zwanzig Jahren zu Reisen in ferne Länder. 1961 ging sie während ihres Studiums an der Ohio Wesleyan University als Austauschstudentin nach Brasilien. Mit einer Abschlussreise sollte der Aufenthalt beendet werden.

Mit ihrer Reisegruppe unterwegs zu den Iguazú-Wasserfällen traf sie auf einen Herrn Heinrich Benz aus dem Limmattal. «Die Reiseziele meiner Gruppe und die von ihm überschnitten sich, weshalb wir uns immer wieder sahen», erinnert sich Benz.

Sie hätten sich auf Anhieb verstanden. Leider würde es noch neun Jahre dauern, bis sie definitiv zueinanderfinden. 1963 schloss Benz ihr Studium in Liberal Arts ab und begann, als Primarlehrerin in den USA zu unterrichten. Mit ihrem ersten Lohn besuchte sie Henry, wie sie ihn nannte, in der Schweiz. Das Jahr darauf besuchte er sie. Sie schrieben sich Briefe und blieben in Kontakt. Auch als Benz für zwei Jahre in den Amazonas ging oder für eine Zeit lang Kinder von US-Air-Force-Soldaten auf den Philippinen unterrichtete, brach der Kontakt nicht ab.

«Das war eine der besten Zeiten meines Lebens. Ich konnte in den Ferien reisen und sah viel vom Fernen Osten», sagt Benz. Erst 1970, mit 29 Jahren, zog die US-Amerikanerin in die Schweiz und heiratete ihren Henry. Es sei schwer gewesen am Anfang, erinnert sie sich. Sie fand einen Job an einer internationalen Schule, wo sie die vierte Klasse unterrichtete. Eine Zeit lang habe sie auch an der Universität Zürich Psychologie und Sinologie studiert. Aber nach sieben Semestern sei es zu viel geworden. Ihre Arbeit als Lehrerin sei wichtiger gewesen.

1997 bekam ihr Mann die Diagnose Parkinson. Dadurch habe sich vieles verändert. 14 Jahre lang pflegte sie ihn zu Hause mit Unterstützung der Spitex, bis er 2011 verstarb. Während seiner Krankheit habe sie viel Zeit an ihrem Computer verbracht. Deshalb sei sie 2006 auf den Beitrag der alten Tagebücher auf Ebay gestossen.

Schätze der Vergangenheit entdeckt

Die Notizbücher stammen von einem Kapitän Hillmann, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts im alten China arbeitete und wohnte. Damals besetzte England grosse Teile Chinas, so auch die Stadt Jiujiang am Fluss Jangtse. Dort wohnten er und seine Familie. Für Benz sind die Bücher wahre Schätze. «Ich wusste sogleich, dass ich etwas vor mir habe, das sonst nur Historiker zu Gesicht bekommen.»

Ein Teil der Hefte sind auch Tagebücher der Tochter des Kapitäns. Gwendoline Hillmann hat ihre Kindheit im damaligen China festgehalten. Die bildhaften Erzählungen faszinierten Benz besonders. Sie wollte unbedingt herausfinden, was mit Gwen, wie sie genannt wurde, geschehen war. Über Jahre hinweg recherchierte sie und engagierte sogar jemanden, um ihr dabei zu helfen. Sie kam in Kontakt mit Enkelkindern der Kapitänstochter und fand Dokumente, die viele der Lücken im Leben der Gwendoline Hillmann schliessen konnten.

Eine märchenhafte Kindheit, familiäre Schwierigkeiten, vier Ehen und eine Liaison offenbarten sich im Laufe der Recherchen. Über die letzten 18 Jahre recherchierte und schrieb Benz über das Leben von Gwendoline. Im Juli dieses Jahres konnte sie nun ihr erstes Buch «The River Never Left Her» veröffentlichen. Es erzählt simultan die Geschichte von Gwendoline Hillmanns Leben und der Entdeckung ihrer Tagebücher durch Benz selbst.

Weitere Bücher folgen

«Ich wollte schon immer ein Buch schreiben, und irgendwie wusste ich, dass ich es erst als ältere Lady machen würde», sagt sie und lacht. Sie habe zuvor nie die richtige Idee oder genug Zeit gehabt. Diese Chance konnte sie sich jedoch nicht entgehen lassen. Ihr erstes Buch ist im Moment nur auf Bestellung und auf Englisch erhältlich. Benz möchte es in Zukunft gerne übersetzen lassen, damit mehr Menschen im deutschsprachigen Raum das Buch lesen können. Es sei erst der Anfang ihrer Karriere als Autorin. Sie schreibe im Moment an drei Kinderbüchern, die sie publizieren möchte. Ihre Leidenschaft für das Reisen und für verschiedene Kulturen sowie das Lesen begleiten Benz tagtäglich. Auch heute noch reist sie viel. Erst letztes Jahr war sie in Laos, Thailand und Vietnam unterwegs. Die Literatur zieht sich durch alle Phasen ihres Lebens. So unterstützt Benz zum Beispiel auch Projekte wie «Big Brother Mouse» in Laos, eine Organisation, die Kindern in Laos das Lesen zugänglich machen möchte. «Es gibt nichts Besseres als Lesen. Man lernt nie aus», sagt Benz.

In Zukunft möchte die 83-Jährige ihre Kinderbücher fertig schreiben und sie übersetzen lassen. Auch das Buch über Gwendoline Hillmann soll ins Deutsche übersetzt werden. Zudem möchte sie gerne nach Peru reisen. Sie habe noch viel vor und sei immer noch neugierig, sagt sie über sich selbst.

Limmattaler Zeitung vom 15. Oktober 2024 (Amélie Schneider, Bild: Andrea Zahler)

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