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27. März 2023

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«Meine Kinder sollen unter einem friedlichen Himmel aufwachsen»

Bergdietikon gewährt Schutzsuchenden aus verschiedenen Nationen Unterschlupf. Zu den neusten Zuzügern gehört eine Familie aus der Ukraine.

Vor dem Eingang des reformierten Pfarrhauses in Bergdietikon stehen drei Koffer und ein Rucksack. Vor der Wohnungstür im ersten Stock liegen insgesamt elf Paar Schuhe. Grund für diesen Trubel: der Einzug mehrerer Geflüchteter. Dazu gehören auch Inna und Mykola Hrebliuk aus der Ukraine mit ihren Kindern Daniel und Zakhar. Ein weiteres Pärchen, das ins Pfarrhaus einzieht, stammt ebenfalls aus der Ukraine.

Die reformierte Kirchgemeinde vermietet die Wohnung im Pfarrhaus an die Gemeinde Bergdietikon. Denn selber braucht sie das Pfarrhaus nicht, bis sie einen neuen Pfarrer gefunden hat. Die Büroräume im Erdgeschoss nutzt die reformierte Kirchgemeinde weiterhin.

Christoph Kuhn organisierte die Wohnungsübergabe, die am 1. März stattfand. Er ist Leiter öffentliche Liegenschaften der Gemeinde Bergdietikon und hat auch Möbelspenden für die Wohnung organisiert. Die Hilfsbereitschaft in der Bergdietiker Bevölkerung sei gross, so Kuhn. Das Einrichten neuer Unterkünfte sei aber für die Gemeinde ein grosser Aufwand, der neben dem aktuellen Tagesgeschäft zu einer zusätzlichen Belastung führe.

Eine private Organisation unterstützt die Gemeinde

Das Unternehmen ORS führt schweizweit für Bund, Kantone und Gemeinden Unterkünfte für Flüchtlinge. Die Gemeinde Bergdietikon hat ORS beauftragt, bei der Koordination des Asylwesens zu helfen. ORS-Mitarbeiter Marco Diliberto ist für die beiden Familien im Pfarrhaus zuständig. Bei allen Alltagsfragen und im Umgang mit den Behörden sei eine gute Kommunikation wichtig. «Nur so können wir die Integration unterstützen», sagt Diliberto.

Die Zusammenarbeit mit ORS funktioniert gemäss der Bergdietiker Gemeindeschreiberin Jenny Jaun gut: «Die Asylbetreuung ist sehr komplex, weshalb wir eine in diesem Bereich spezialisierte Organisation beauftragt haben.» Zu den Hauptaufgaben der ORS gehört die persönliche Begleitung in allen Lebensbereichen, etwa die Koordination von Arztterminen, mit der Schule oder mit der Liegenschaftsverwaltung.

Zudem gibt es einen Notfall-Pikettdienst. «Unser Ziel ist, dass die Menschen unabhängiger werden, je länger sie bei uns sind», sagt Lutz Hahn, Leiter Kommunikation ORS. Die «Limmattaler Zeitung» besuchte die Familie Hrebliuk zwei Wochen nach ihrem Einzug nochmals in ihrer neuen Wohnung. Das Gespräch fand im Beisein der ORS statt. Zur Unterstützung wurden Übersetzungsapps auf dem Handy benutzt. Der jüngste Sohn Zakhar besucht bereits den Kindergarten in Bergdietikon. Der ältere Sohn Daniel lernt im Moment Deutsch, was ihm nach den Sommerferien einen direkten Schuleinstieg ermöglichen soll.

Inna und Mykola Hrebliuk sind beide Mitte 30 und seit 15 Jahren zusammen. Sie hat in der Ukraine als Verkäuferin und Coiffeuse gearbeitet, er als Maurer. Mit ihren beiden Kindern lebten sie in einem Haus in der Stadt Kolomea in der Westukraine.

Sie wollten den Krieg zuerst nicht wahrhaben

An den 24. Februar 2022 können sie sich noch gut erinnern. In den frühen Morgenstunden hätten sie die ersten Raketen gehört. Dass der Krieg angefangen hatte, wollten sie zuerst nicht wahrhaben: «Wir haben angefangen, die Kinder für den Kindergarten und die Schule bereitzumachen», sagt Inna Hrebliuk. Erst als sie das Radio anstellten, sei klar gewesen: Russland greift die Ukraine an.

Am Anfang habe niemand genau gewusst, was zu tun war. Es habe grosse Schlangen vor Lebensmittelläden gegeben. «Mykola hat noch versucht, Benzin aufzutreiben – vergebens», sagt Inna Hrebliuk. Sorgen macht sie sich Inna Hrebliuk bis heute um ihre Eltern, die in Sumy leben, einer Stadt im Nordosten der Ukraine, unweit der Grenze zu Russland: «Sie sind zu alt, um zu flüchten – sie möchten die Ukraine nicht verlassen», sagt Inna Hrebliuk. Die vierköpfige Familie entschied sich für die Flucht. Dies sei keine einfache Entscheidung gewesen.

Sie hätten die Ukraine unter normalen Umständen nie verlassen wollen. Es ist und bleibt ihre Heimat. Die Sicherheit ihrer Familie ist für die Eltern das Wichtigste: «Meine Kinder sollen unter einem friedlichen Himmel aufwachsen», sagt die Mutter.

Von Kolomea nach Bergdietikon

So flüchteten sie per Bus nach Bern. Dort angekommen, hielten sie sich etwa eine Woche im Bundesasylzentrum auf und danach nochmals eine Woche in einer Unterkunft des Kantons Aargau in Frick, bevor sie nach Bergdietikon kamen.

Laut Lutz Hahn versuchen die zuständigen Behörden bei der Zuweisung von Flüchtlingen, die jeweilige Familiensituation zu berücksichtigen. Der zur Verfügung stehende Wohnraum sei aber knapp. «Erst wenn die Geflüchteten in der Endgemeinde angekommen sind, können sie richtig zur Ruhe kommen und das Erlebte verarbeiten», sagt der ORS-Kommunikationsleiter. Hier in Bergdietikon fühle sich die Familie wohl. Im Dorf hat sie schon ein paar Einheimische kennen gelernt, mit denen sie hin und wieder Gespräche führt. Deutsch hat das Ehepaar vorher noch nie gesprochen, aktuell wartet es auf einen Platz in einem Deutschkurs, der vom Kanton angeboten wird. Für den Schutzstatus S haben sie und ihre Kinder bereits einen positiven Bescheid erhalten.

In der Schweiz fühlte sich die Familie Hrebliuk inzwischen sicher und willkommen: «Wir hatten nie Angst, dass wir auf der Strasse schlafen müssen», sagt die zweifache Mutter. Dann fügt sie hinzu: «Wir sind der Schweiz sehr dankbar.»

Inna Hrebliuk spricht aber auch an, dass es in der aktuellen Wohnung oft eng ist – die Privatsphäre leide, wenn man sich die Räume mit anderen teilen muss. Gemäss Lutz Hahn kann das Konfliktpotenzial in gemeinsam genutzten Wohnformen gross sein. Umso mehr versuche ORS, bei Bedarf niederschwellig zu vermitteln. «Mit der momentanen Wohnungsknappheit ist es schwierig, allen Bedürfnissen gerecht zu werden.» Dann fügt er hinzu: «Viele der Geflüchteten denken, dass sie hier den gleichen Lebensstandard weiterführen können wie vor der Flucht, dem ist nicht so.»

Für die Zukunft wünscht sich die Familie nichts mehr als Frieden in der Ukraine. Sie möchte ihr altes Leben zurück. Auf die Frage, was sie in der Schweiz erreichen will, wirkt sie etwas ratlos. Nach kurzem Überlegen sagt Inna Hrebliuk schulterzuckend: «Wir möchten auf jeden Fall arbeiten und unabhängig von der Sozialhilfe werden.»

Wohnraum für Schutzsuchende gesucht

Vor dem Start des russischen Angriffskriegs hat die Gemeinde nur rund 15 Schutzsuchende betreut, aktuell sind es 40. Gemäss der Gemeindeschreiberin Jenny Jaun sind die meisten Familien oder Frauen mit Kindern. Die Menschen kommen aus der Ukraine, Afghanistan und weiteren Staaten.

Aktuell hat die Gemeinde 20 Personen in eigenen Unterkünften untergebracht. Alle weiteren Personen leben in Privatunterkünften oder Gastfamilien, was teilweise nur vorübergehend sei. Für diese Menschen muss Bergdietikon eine Anschlusslösung finden. Das ist gemäss Jaun eine grosse Herausforderung: «Derzeit sind alle Gemeindeunterkünfte belegt, und der Wohnraum in Bergdietikon ist knapp.»

Aktuellen Mietern zu künden, um Platz für Schutzsuchende zu schaffen, ist gemäss Jaun keine Option. Auf den Bau neuer Unterkünfte, beispielsweise in Form von Containern, wurde aufgrund der hohen Kosten bisher verzichtet.

Limmattaler Zeitung vom 25. März 2023 (Text: Natacha Schmassmann, Bild: Severin Bigler)

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